Die eigentliche Kiefer-ORTHOPÄDIE: Behandlung von Kiefer-Fehlstellungen (Überbiss, Tiefbiss, Deckbiss, Rückbiss, Schiefbiss, Vorbiss, offener Biss...)
KIEFERLAGE UND VERZAHNUNG GEMEINSAM GESUNDWACHSEN
Die häufigste Kieferfehlstellung, der Überbiss, kann vertikal sein (Deckbiss), oder häufiger horizontal (Unterkiefer-Rücklage, „sagittale Stufe“) oder beides (Tiefbiss).
Dabei
lassen sich bei der Korrektur von Überbissen, von denen hierzulande jedes 2. Kind mehr oder weniger betroffen ist, ähnlich wie bei der Zahnkorrektur (Text „Die harte Wirklichkeit“) mehrere Zurückentwicklungs-Stadien unserer bewährten Methoden (A) beobachten, die im Schaubild (49 kB pdf) dargestellt sind:
(A) ist im ursprünglichen Sinne des deutschen Begriffes „Kieferorthopädie“ (mehr dazu: im geschichtlichen Text) das schmerzlose 3-dimensionale Gesundwachsen der Kieferlage und zugleich der Verzahnung der Seitenzähne. Denn hatten sich diese an eine falsche Bisslage angepasst, dann passen sie bei korrekter Bisslage schlecht zusammen.
Diese klassische Behandlungsform, bei der die Spangen sorgfältig wie individuelle „Formen zum Gesundwachsen“ gestaltet werden (s. Zahnspangen-Galerie B sowie Weitere Info, FKO), ist anschließend für den Arzt nicht me
hr aufwändig. Außerdem sind die damit quasi selbst gewachsenen Ergebnisse langfristig stabiler als solche, die durch künstliche Kräfte geformt wurden. Langzeitbeobachtungen zeigen z.B. frühere Patienten der Bimler-Methode, die mit 60 Jahren noch gute Zähne haben.

(B) Im ersten Rückentwicklungs-Stadium beschränkt sich die Korrektur mit Doppeldecker-Spangen oder Vorschub-Platten 1-dimensional auf die Kieferlage, ohne sie auch auf die 3-dimensionale Anpassung der Verzahnung auszulegen. Diese Arbeit wird für anschließende feste Spangen übrig gelassen. So wird die Behandlung teurer, dauert insgesamt oft länger und belastet den Patienten und seine Zähne stärker.
(C1) Lobbys propagieren das alte, fest eingebaute Herbst-Scharnier für junge Erwachsene, Jugendliche und nun auch für Kinder. Es erfüllt die Funktion von (B) profitabler, aber Kauen mit Herbst-Scharnier ist wie Laufen mit Gipsbein, nur statt 6 Wochen 6 – 12 Monate, und auch die Mundhygiene ist sehr erschwert. Nach dem Ausbau droht der Rückfall, oder es braucht danach noch eine weitere Spange für beide Kiefer zur Retention – sozusagen doppelter apparativer Aufwand!
(C2) Auch jüngere Kinder mit Überbiss werden in Praxen, die wohl alles Herausnehmbare abgeschafft haben, oder bei erschwerter Korrektur wegen langer Gesichtsform von Außenspangen (Headgear) zum Zurückzwingen des Oberkiefers bedroht, welches oft über nur 2 Ankerzähne erfolgt. Obwohl Überbisse meist Unterkiefer-bedingt sind, und obwohl eine Kiefer-Korrektur auch bei langer Gesichtsform mit sanften Methoden geht: sie braucht dann bloß mehr Zeit als bei breiter Gesichtsform.
(D) Kleine Kinder, die einen seitlichen Kreuzbiss haben, werden heute selbst bei zeitigster Vorstellung mit 4 – 6 Jahren (!) mit Gaumennahtsprengung (GNE) bedroht, oder wenn sie die seltenere Unterkiefer-Vorlage (Progenie, Vorbiss) haben, auch mit der Gesichtsmaske (Delaire-Maske). Als Alternative wird nur eine Kiefer-Operation im Erwachsenenalter (s.u.) genannt. Ein seltenerer Fehlwuchs, für den wohlerprobte sanfte Frühbehandlung ebenfalls selten wird, ist der anlagebedingte offene Biss.
Die speziellen für (D) bewährten funktionellen Zahnspangen, die früh umfassend korrigieren, werden heute rar. Man könnte meinen, sie kämen in der heutigen Kieferorthopäden-Ausbildung als „alte Methoden“ nur noch am Rande vor.
ERWACHSENE:
Bei einer verbreiteten alten US-Methode der Überbiss-Behandlung werden zwei obere Seitenzähne (4er) geopfert und die oberen Schneide- und Eckzähne zurückgezerrt. Wegen der Größe der Eckzahn-Wurzeln sind dabei meist Inneneinbauten oder ein Headgear zusätzlich nötig, um die Gegenkräfte aufzunehmen, und Zahnwurzel-Verkürzungen sind wahrscheinlich.
Die falsche Verzahnung der Mahlzähne und ein fliehendes Kinn bleiben dabei voll erhalten, der Raum für die Zunge und für die Nasen-Atemwege wird verengt, und die Oberlippen-Partie wird eingedellt. Besonders bei langer Gesichtsform (s.o.) verdrängt diese Tortur auch schon für Kinder und Jugendliche unsere Methoden, die das Wachstum nutzen. Als Marketing-Keule wurde dazu ausgespielt, dass „unsere“ Behandlung bei mangelnder Berücksichtigung des Wachstumsmusters für die Auslegung einer funktionellen Spange, oder bei nachlässiger Durchführung versagen kann, was nicht gleich augenfällig ist, weil die Muskeln den Unterkiefer zunächst in einem „Sonntagsbiss“ halten. Dass eine Bisslage-Umstellung, wie hier beschworen, ihr Ziel nicht erreicht, ist für den Patienten aber das einzige Risiko der Funktionskieferorthopädie, abgesehen von so groben Fehlern wie der Verordnung des verkehrten Gerätetyps. Zudem lässt
sich der Fortschritt der funktionellen Kiefer-Korrektur auch ohne Röntgen fachgerecht überprüfen. Dennoch scheint es v.a. in den USA immer noch Orthodontists zu geben, die die ganze Funktionskieferorthopädie für Esoterik halten und dies auch predigen.

Überbisse bei Erwachsenen werden bei uns häufig durch eine Operation mit Durchtrennung der Kieferknochen korrigiert, weil in Europa mehr Kapazität für Operationen aufgebaut wurde. In Deutschland zahlen die Kassen sie selbst bei Beschwerdefreiheit.
Die Grenzen der Funktionskieferorthopädie für Erwachsene sind hingegen nicht systematisch ausgelotet. Auch im erwachsenen Knochen laufen noch Auf- und Abbauprozesse ab, und Kieferknochen baut sich doppelt so schnell auf und ab wie anderer! Außerdem: sind die Befürworter der Kiefer-OPs auch um unsere Wirbelsäule so besorgt, der heute durch einseitige Belastungen, z.B. bei sitzender Tätigkeit, ebenfalls vorzeitiger Verschleiß droht? Oder würde sich jemand, der beschwerdefreie X- oder O-Beine hat, diese vorsorglich zurechtsägen lassen?

Letztes Update dieses Teils: 06.01.2009
HOME