Hilfestellung zur gesunden Gebissentwicklung
Patientenfreundliche Kieferorthopädie mit Schwerpunkt Frühbehandlung
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Letztes Update des Kapitels: 10.09.2009

Mit konfektionierten Hilfsmitteln und gezielter mit individuellen Leichtbau-Geräten lässt sich den verschiedenen Kiefer-Fehlentwicklungen frühzeitig entgegensteuern. Sog. Kaugummieffekt-Geräte können auch noch bei Jugendlichen Wirksamkeit, Sicherheit und Komfort verbinden.
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erausnehmbare Zahnspangen haben, obwohl sie bewährt sind, kaum Marketing. Dabei sind sie meist betriebssicherer und für den Patienten risikoärmer als feste Zahnspangen. Zur Frühbehandlung sind sie gut geeignet. Im regulären Behandlungsalter brauchen sie zwar oft länger als eine zügig durchgeführte Behandlung mit festsitzender Technik, erfordern aber weniger Stuhlzeit, seltenere Kontrollen und verursachen weniger Notfälle.
80% der Zahn- und Kieferfehlstellungen gelten als erworben.

Zuerst ist Stillen auch ein beträchtliches Training für die Kieferentwicklung. Längeres Stillen trainiert auch das Vorbringen des Unterkiefers, der bei jedem 2. Kind in den Industriestaaten zu weit hinten liegt.
Sodann sollte das Kieferwachstum mit kauintensiver Ernährung angeregt werden, um der Entstehung von Platzmangel vorzubeugen.
Häufige Erkältungen, Allergien sowie Kiefermuskelschwäche durch mangelnde Beanspruchung können Kleinkindern eine habituell offene Mundhaltung angewöhnen, die die Kieferentwicklung durch tiefe Zungenlage binnen weniger Jahre zum typischen Mundatmergebiss entgleisen lässt. Der unterentwickelte Oberkiefer ist dabei oft mit Kreuzbissen, offenem Biss oder vertikaler Unterkiefer-Entwicklung vergesellschaftet.
Ein bekanntes konfektioniertes Trainingsgerät für Kleinkinder ist die Mundvorhofplatte in verschiedenen Varianten (MVP, Abb. 1 zeigt eine individuelle mit Aufbiss). Zum Umtrainieren auf Nasenatmung kann mit einem gelochten Exemplar begonnen werden, das durch ein weniger gelochtes und dann durch ein ungelochtes ersetzt wird.



Weiterhin können bei gehemmter Kieferentwicklung als kleinere Option gegenüber den Funktionsreglern nach Fränkel (FR), die auch die Bisslage und Muskelfunktionen normalisieren, Leichtbau-Lippenschildgeräte zum Einsatz kommen (Abb. 2 zeigt ein Beispiel), die durch Nutzung des Zungendrucks bei abgeschirmtem Lippendruck die Entwicklung der Kieferfronten fördern. Dabei vermeiden sie jene Fehlbedienungsgefahr, die konventionellen Platten mit Schraubsegmenten innewohnt und die bisweilen als Argument gegen ihre Anwendung durch Allgemeinzahnärzte vorgebracht wird: dass Platten mehr geschraubt als getragen werden, bzw. mehr, als das Wachstum mitkommt.
Zur Anregung des Kiefer-Breitenwachstums können auch Leichtbau-Dehnfedergeräte dienen, die ebenfalls anders als Platten den Zungendruck nicht abschirmen, wenn sie nach Abb. 3 eine Feder im Bereich der beiderseits hintersten 2 Zähne platzieren. Diese wird auf geringen Druck eingestellt.
Diese Leichtbau-Geräte sind leicht einzugewöhnen, lassen sich für Ober- und Unterkiefer und bei Bedarf auch als kombiniertes Dehnfeder-Schild-Gerät konstruieren.



Ungünstiges Kieferwachstum kanalisieren
Weichgewebe formt Hartgewebe, auch bei Kindern mit Progenie oder mit (erworbenem) vertikalem Gesichtswachstum, bei denen Standardgeräte eine erhöhte Versagensquote haben. Mit passend konstruierten Geräten, die das Umtrainieren der Muskulatur fördern, sind aber auch in solchen Fällen bei rechtzeitigem Beginn und mit ausreichend Zeit stabile Erfolge dokumentiert, wie z. B. mit dem FR 3 (Fränkel) oder dem leichteren Bimler Progenie-Gerät. Der Zeitbedarf von wachstumsgeführten Behandlungen hängt sowieso auch von der individuellen Zahnbeweglichkeit ab. Ebenfalls schon im Milchgebiss einsetzbar sind konfektionierte Trainer (4 Typen, s.u.) und konventionell konstruierte Progenie-Platten mit verstellbaren Gegenkieferbügel, der nicht nur den Unterkiefer zurückhält, sondern über die Gegenkraft auch die Oberkiefer-Entwicklung fördert. Progenie-Platten benötigen weiterhin eine Transversalschraube („Dehnschraube“) mit genug Dehnweite, wie sie auch beim häufigeren seitlichem Kreuzbiss durch Schmalkiefer hilfreich ist. Jedes 6. Kind ist hiervon betroffen, und Abb. 4 zeigt ein erfolgreiches Beispiel mit dem Experten-Tipp, im Frontbereich statt dem üblichen Labialbogen zusätzliche Halteklammern anzubringen. Auch Dehnschrauben mit integrierter Feder können dann ungehindert wirken.
Eine Progenie-Platte kann überdies mit Oberlippenschilden wie beim FR 3 und mit Protrusions-Schrauben oder Federn bestückt sein. Abb. 5 zeigt eine frontoffene Bauform, aber auch eine Bertoni 3-Wege-Schraube kann sich eignen.


Patienten geben Gas: der Kaugummi-Effekt
Naturheilmethoden sind gefragt, aber leider wissen nur wenige von naturnaher Kieferorthopädie, mit der die Zahnreihen und Kiefer mit gesunden Funktionen zu individueller Gestalt heranreifen können, die zum Gesicht passt und zu den Funktionskreisen von Zunge, Lippen und Wangen. Stattdessen werden Kleberetainer zur Routine, um künstlich In-Form-Gezwungenes zu konservieren.

Kaugummieffekt-Geräte, wie vorgenannte Bimler-Geräte oder verschiedene Fabrikate konfektionierter, elastischer Trainer stellen dabei geringere Anforderungen an die Tragezeit, weil ihre Flexibilität die Kaumuskeln wie ein Kaugummi anregt und deren beträchtliche Kräfte zur Korrektur umnutzt. Meist genügt nächtliches Tragen und stundenweise tagsüber, was dem Tagesablauf heutiger Kinder, Ganztagsschüler und Berufstätiger entgegenkommt. Da der Patient die Kraft selbst dosiert, sind Schmerzen und Schäden praktisch ausgeschlossen.
Je weniger (Gegen-)Kräfte nach hinten erzeugt werden, desto höher ist die Chance, dass bei frühzeitigem Behandlungsbeginn auch Platz für die Weisheitszähne wächst. Hier zeigt sich der Vorteil der muskulär wirkendem Systeme, diese 14% mehr Zahnkapital anlegen zu können. Auch eine hohe Stabilität der Behandlungsergebnisse dieser 3-dimensional wirksamen, jahrzehntelang bewährten Systeme ist dokumentiert.



Abb. 6 zeigt Kaukraft Kiefer-Former, die auch zur vollständigen Behandlung konzipiert sind. 4 Formen sind gegen Engstand, Schmalkiefer, Deckbiss, Rückbiss, Vorbiss (Progenie) und offenen Biss in mehreren Größen für Früh- bis Spätbehandlung erhältlich. Bei Erwachsenen sind sie auch gegen Schnarchen und Knirschen verwendbar.

Bimler-Geräte sind zierlich und federnd mit 5 bis 6 Arten von Drahtelementen, die von kleinen Plastiksegmenten zusammenhalten werden (Abb. 7). Bei Bedarf kommt eine Transversalschraube oder weitere Drahtelemente für gezieltere Zahnkorrekturen hinzu, als sie mit landläufigen funktionskieferorthopädischen Geräten möglich sind. Bimler-Geräte regen zudem die Selbstreinigung des Mundraumes an. Sie können von spezialisierten Labors bezogen werden (www.bimler.com).
Bei Platzmangel empfiehlt es sich dabei, Wachstumskurven aufzuzeichnen, um die Reaktion der Kiefer auf die Behandlung festzustellen. Statt an Durchschnittswerten kann daran individuell ermittelt werden, ob noch genug Kieferwachstum angeregt werden kann, oder ob für ein stabiles Ergebnis tatsächlich Extraktionen sinnvoller wären (wofür die Bimler-Extra Varianten konzipiert sind).
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as spezielle Bimler-
Deckbissgerät ist für das bleibende Gebiss konzipiert und hatte in der DDR eine gewisse Verbreitung. Elegant setzt es die beträchtliche Zubeiß-Kraft in Protrusion der Oberkiefer- und Intrusion beider Kieferfronten um. Kiefer-Former würden das zwar auch leisten, sind aber voluminöser.

In der Wachstumsphase haben Zähne, wenn sie nicht allzu verlagert sind, eine Tendenz zum Geradewachsen. Entsprechend sind viele erfolgreiche Behandlungen durch 1- bis 2-Punkt-Krafteinwirkung mit herausnehmbaren Geräten dokumentiert, die im Wechselgebiss begonnen wurden. Die Geräte fungieren dabei auch als Platzanweiser für wachsende Zähne. Abb. 8 zeigt eine Eckzahn-Einordnung in etwas späterem Stadium.

Solange noch Kieferwachstum besteht, sollte dessen Anregung zum echten Platzgewinn Vorzug haben gegenüber bloßer Platzbeschaffung durch Schmalerschleifen (Slicen, Strippen) mit seinem geringen, aber offensichtlichen Zahnsubstanz-Verlust. Allerdings kann es bei einer Behandlung mit Multibracket-Spangen zu größeren Verlusten am Zahnschmelz und an den Zahnwurzeln kommen!



Regulierungssilikon, d.h. ein Silikon-Plastik-Verbund an kieferorthopädischen Platten oder Schienen, ermöglicht eine rationelle Zahnkorrektur, im Prinzip auch von verdrehten oder verkippten Zähnen (Abb. 9). Dazu werden sie meist in Setup-Technik sukzessive gerader aufgestellt und beiderseits mit Silikon umhüllt, das eine flächige Krafteinwirkung ergibt. Etwa 3-monatlich wird das Silikon für den nächsten Korrekturschritt erneuert, wobei das tragende starre Gerät weiter verwendet wird.
Keine Verankerungsprobleme
Moderate Reihen-Distalisierungen sind mit aktiven Platten und (aufwändiger) mit Crozat-Technik dokumentiert. Diese nichtinvasive Vorgehensweise kann auch eine häufige Zahn-Aufwanderung, die frontale Engstände verursacht, wieder rückgängig machen. Abb. 10 zeigt Spezialschrauben einer Distal-Platte für eine präprothetische Erwachsenen-Behandlung.
Federkräfte (Crozat) sollten dabei mittig am Zahn ansetzen, sonst bewegt er sich drehend, und tief, damit er nicht kippt. Mit Crozat wie mit Platten ist diese Behandlung langsam durchzuführen.